Wir werden immer wieder gefragt, weshalb wir keine Geräte bearbeiten, die nach 1989 gebaut wurden. Die Antwort darauf liefert nun dieser Verstärker, den wir in Unwissenheit angenommen haben. Die
Konsumenten waren im Laufe der Zeit immer weniger bereit, viel Geld zu bezahlen für Hifi – und so magerten die Geräte immer mehr ab… Kostete Anfang der 1970er Jahre ein Sansui Eight oder ein
Marantz 2270 noch zwischen 2.500 und 2.800 DM, so bekam man 15 Jahre später für das Geld bereits hochwertige Vor-Endstufen-Kombinationen mitsamt einem Tuner. 1999 wurde dann kaum noch
hochwertiges Hifi angeboten, obschon man sich durchaus den Anschein gab. Dieser hier vorgestellte Vollverstärker, der laut Hersteller der high-End-Klasse zuzuordnen ist, kostete seinerzeit gerade
mal 698,- DM (empf. Verkaufspreis).
Der PM6010OSE stammt noch aus der Philips-Ära der Marke Marantz und wurde ab 1999 bis 2003 angeboten. Es gab ihn in schwarz und champagner, er leistet 2 mal 70 Watt sinus an 4 Ohm und wiegt
gerade mal 6,7 kg. Beschrieben wird er im Marantz-Katalog wie folgt:
Dieser Verstärker verdient wirklich den Namen OSE (Original Special Edition). Größere Trafokerne und hochwertigere Ladekondensatoren sorgen für einen strafferen Bass und
packende Details. Eine Single-Push-Pull-Endstufe, kurze Signalwege und ausgesuchte Bauteile sorgen für kraftvolle Töne mit guter Abbildung und ein exaktes Klangbild. Sechs Quell-Eingänge und der
D-Bus machen aus ihm eine hervorragende Systemkomponente.
Marantz-Katalog “Range Series 2002-2003” Seite 47
Genau so etwas möchte der ambitionierte Hifi-Entusiat lesen! Aber: drin ist ganz gewöhnliches Hifi, der Preisklasse entsprechend. Geschicktes Marketing ersetzt die leider geschwundene
Qualität.
Defekt an diesem Verstärker war hauptsächlich das Balance-Poti, welches ebenfalls wegen des allgegenwärtigen Rotstifts so klein und winzig ausfiel, dass Defekte (meist mechanischer Art) schon an
diesen Potis überdimens häufig auftreten. Man kann sie leider nur austauschen. danach spielte der Verstärker wieder auf beiden Kanälen. Der Weg dahin, dass man ein Poti erneuern kann ist hingegen
schon etwas kompliziert. Sämtliche Platinen sind irgendwie geklemmt, geclipst oder direkt an den Bedienelementen verschraubt. Oben im Bild die Cinchbuchsen mit dem Eingangswahlschalter, per
Bowdenzug mit der Front verbunden. Dies ist die Endstufe auf relativ dünnen Alublechen montiert und einem Netzteil bestehend aus einem Brückengleichtichter und zwei Elkos mit 12.000µF/54V. Das
ist der Netztrafo, ein ganz üblicher EI-Kerntrafo, von größeren Trafokernen ist da jedenfalls nichts zu sehen. Überall im Gerät Flachbandkabel oder (schlimmer) diese Flexboards, die Ende der
1990er Jahre langsam überall Einzug hielten und seither leider häufig für Ausfälle sorgen. Dieses Flexboard verbindet die Frontplatine mit der darunter befindlichen Schalterplatine. Flexboards
sind flache Kunststoffstreifen mit eingeschweißten Kupferstreifen, an den Enden blank. Dise werden in Klemmhalter gesteckt. Der Kunststoff wird im Lauf der Zeit spröde und dann brechen die sehr
dünnen Kupferleiter. Ein echtes Kapitel aus der geplanten Obsoleszens. Man beachte auch die Befestigung des Eingangswahl-Drehschalters, rechts im Bild. Die sehr wertig wirkenden Drehknöpfe
entpuppen sich nach dem Abziehen von der Achse als verblüffend leicht. Schaut man von hinten, erkennt man weshalb das so ist: die Aluminiumhülle ist hauchdünn, der Rest ist Kunststoff. Hier ein
Gesamtüberblick des offenen Gerätes von oben, die langen Kabelverbindungen fallen schon ins Auge. Von unten ist der Verstärker geschlossen, will man von unten an der Platine löten, ohne diese
erst auszubauen, muss man diese Blechplatte erst mit einem Seitenschneider heraustrennen und dann um 180 Grad verdreht wieder einschrauben. So sehen die durchtrennten Stege aus der Nähe aus. Nun
der erste Blick auf das gesamte Gerät – von außen durchaus vielversprechend Die Front ist schlicht gehalten, allerdings nur 1,5mm stark auf einer 6 mm starken Kunststoff-Werkplatte. Die
gebürstete champagnerfarbige Front harmoniret sehr gut mit den silberen Knöpfen. Man hat sich auf nur wenige Bedienelemente beschränkt, dies soll den highendigen Charakter unterstreichen. Links
gibt es den Einschalter, den Eingangswahlschalter und eine Kopfhörerbuchse. Die helle runde Öffnung beherbergt die Infrarotempfangsdiode für die Fernbedienung. In der Mitte gibt es LED-Anzeigen
für den angewählten Tape-Monitor oder den zweiten Monitor, der sich hier CD-R/MD nennt. Sind beide gedrückt ist gleichzeitig die Überspielfunktion aktiviert. Der Knopf rechts überbrückt nur das
Balancepoti.
Die MUTE (stumm)-Funktion ist nur per Fernbedienung einschaltbar. Die Lautstärke kann wahlweise am Gerät oder per Fernbedienung reguliert werden. An der Rückseite gibt es Cinchbuchsen für AUX,
Tuner, CD und Phono, daneben noch für zweimal Tape bzw. CD-R oder MD. Die Cinchbuchsen rechts sind für die Weiterleitung der Fernbedienungssignale an weitere Marantz-Komponenten. Es gibt nur ein
Paar Lautsprecheranschlüsse, dafür schon mit Bananenstecker-Aufnahme. Die hellen Spuren rechts sind von einem üblen Klebstoff, die wir nicht beseitigen konnten.
Insgesamt hat man als Benutzer eines solchen Verstärker eigentlich nichts zu meckern. Nur wer in das Gerät hineinschaut und das mit Geräten aus den 1970ern vergleicht, erkennt die großen
Unterschiede – die lediglich dem allgemeinen Preisverfall geschuldet sind. Schade!